Mitmach-Projekt Schreiblust-Verlag
Mitmach-Projekt Schreiblust-Verlag

Stille Wasser sind tief

Ich habe diesen Monat zum ersten Mal am Mitmach-Projekt vom Schreiblust-Verlag mitgemacht. Es gibt dort immer ein Monatsthema, zu dem man seine Geschichte schreiben soll.

Die Aufgabe für Juni lautete: Schreibe eine Geschichte aus der Sicht eines Bösewichts.


Es war wieder einer dieser Tage, an denen ich schon mit dem falschen Bein aufgestanden war. Ich frage mich häufig, was denn das richtige Bein ist, denn egal, welches zuerst den Boden berührt, schlecht gelaunt bin ich fast immer.  

Obwohl ich selber zu dieser Gattung gehöre, war ich noch nie ein Menschenfreund. Mich befremdet dieses hinterlistige Getue: Vorne rum freundlich und zuvorkommend und dann fallen sie dir doch wieder in den Rücken. Ich kann noch nicht mal sagen, ob es schon immer so war oder ob die zahlreichen Enttäuschungen, die ich mit dieser Spezies erlebt habe, schuld sind. Fakt ist nur: Ich wünsche allen Menschen nur das Schlechteste!  

Um das zu erreichen, fange ich schon bei den Kleinsten an, denn die werden groß und dann haben wir das Dilemma: Ein großer Mensch, der anderen Menschen Unrecht tut und nichts davon bemerkt haben will.  

Aber zurück zum Anfang. Es ist Montag, es ist November, es ist kalt und grau. Genau das richtige Wetter und die richtige Jahreszeit, um richtig schlechte Laune zu haben und diese zu zelebrieren. Ein Zerstörer-Tag sozusagen. An nicht so schlechten Tagen treibe ich Schabernack, um andere zu verärgern, aber ich gefährde sie nicht ernsthaft. An Zerstörer-Tagen sieht das anders aus.  

Um meinen heutigen Plan durchzuführen, muss ich mich unauffällig kleiden und eine meiner zahlreichen Verkleidungen nutzen, um vertrauenerweckend auszusehen. Ich setze die blonde Perücke mit kurzen Bob auf und schminke mich sehr zurückhaltend. Ich möchte schüchtern rüberkommen und anschmiegsam, denn nur dann beißen die Männer, die sich für richtige Kerle halten, an. Meine pastellfarbene Kleidung hilft mir dabei, nicht direkt aufzufallen.  

Die ersten gierigen Blicke bemerke ich bereits, als ich zur U-Bahnstation laufe. Indem ich vorgebe, schüchtern zu Boden zu sehen, beobachte ich mein Umfeld genau. Zudem habe ich im Laufe der Zeit das offensichtliche Desinteresse perfektioniert, so dass ich allem Anschein zum Trotz alles um mich herum mitbekomme.  

Als ich auf der Rolltreppe stehe, finde ich mein heutiges Opfer: Ein geschniegelter Bursche, blond, Haartolle, zerrissene Jeans – das soll ja total modisch sein – und ein hellblaues Hemd. Er ist nur ein wenig größer als ich, so dass es ein Leichtes sein wird, ihn zu überrumpeln. Eine Frau, die einen Mann angreift, haben die meisten ja nicht auf dem Schirm. Der Schönling fährt sich galant durch seine Tolle und guckt dabei ziemlich arrogant in der Gegend rum. Ich möchte zu gerne wissen, wohin er unterwegs ist. Ob er zur Arbeit fährt? Mit zerrissenen Jeans? Oder ist er Künstler und fährt in sein Atelier? Wahrscheinlich werde ich es nie herausfinden. Aber auch das macht mir Spaß: Mir zu überlegen, was diese Leute vorhaben, auf die ich es abgesehen habe. 

Jetzt muss ich nur noch den richtigen Moment abpassen. Ich merke, wie meine Atmung schneller wird und spüre mein Herz trommeln, als er die Rolltreppe verlässt und in Richtung Gleis geht. Von außen gesehen wirke ich sicher, als hätte ich Angst, so sehr zittern meine Hände vor Vorfreude. Ich stelle mich rechts hinter ihn, um ihn die ganze Zeit im Blick zu halten. Ich muss schnell, unauffällig und vor allem geschickt vorgehen, damit man das Unglück nicht mir zulasten legt. So etwas Krasses habe ich bisher noch nicht ausprobiert, aber heute soll der Tag sein, an dem ich das perfekte Verbrechen begehe, das vor den Augen anderer Menschen stattfindet. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich verrückt bin, hätte ich es spätestens jetzt vermutet. Innerlich schüttle ich den Kopf über mich, nach außen hin warte ich gelangweilt auf die einfahrende U-Bahn.  

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht vielleicht doch etwas übertreibe mit meinem Menschenhass. Ich habe mittlerweile alle Kontakte abgebrochen und lebe als Einsiedler in meiner vom Staat finanzierten Wohnung. Um nicht mehr arbeiten zu müssen, habe ich mich in eine psychische Störung hereingesteigert, die mir manchmal sehr echt zu sein scheint. Oder bin ich wirklich psychisch gestört und gebe vor, normal zu sein? So genau weiß ich das gar nicht mehr. Ist ja auch egal, es zählt nur, dass ich mich nicht mit Menschen umgeben muss und mein heutiges Ziel erreiche. Dieses Ziel lautet: Töte den blonden Schönling! 

Ein Blick auf die Uhr, ah, in einer Minute ist es so weit, die Bahn müsste gleich einfahren und nun schieben sich die ersten Menschen müde in Richtung Gleis. Das sich aufbauende Gedrängel spielt mir in die Karten. Mein Plan sieht so aus, dass ich den Schönling in ein Gespräch verwickle, in dem ich vorgebe, dass ich ihn ganz toll finde und immer weiter Richtung Gleis gehe. Wie das so ist in laufenden Gesprächen, wird er mir bis zum Gleis folgen. Das Schwierigste wird sein, ihn so unauffällig, wie ich es mir gedacht habe, gen Gleisbett zu schubsen und gleichzeitig unschuldig zu tun. Meistens achten Menschen nicht auf ihr Umfeld und wenn ich mich erschüttert gebe und ein paar Tränchen verdrücke, wird mir jeder meine Bestürzung darüber, dass der nette junge Mann gestolpert ist, abnehmen. Das mit den Tränchen habe ich schon oft erfolgreich geübt.  

“Guten Morgen, ist das die U-Bahn in die City?” Ich stelle mich neben ihn und gucke ihn schüchtern von unten hinauf an. “Ich bin neu in der Stadt und blicke noch nicht so richtig durch.” 

Sein Blick spricht Bände: Sprich mich nicht an! Mist! Und jetzt?  

“Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.” Er verdreht die Augen und guckt dann demonstrativ in eine andere Richtung.  

Ok, das war wohl die falsche Taktik. Jetzt gilt es, die richtige zu finden. “Sorry, war wohl ein etwas falscher Start. Ich bin Claudi und ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, jetzt mit mir einen Kaffee trinken zu gehen.” Anmache wirkt immer.  

“Äh, Kaffee? Wann? Jetzt?” Jetzt ist er es, der komisch guckt. Treffer!  

“Ja, warum nicht? Oder hast du was Besseres vor?” Hat er wahrscheinlich, aber das wird er nicht zugeben. Wenn ihn eine Frau bewundert, fühlt er sich wie ein König. Solche Typen kenne ich zur Genüge.  

“N…n…nein. “ stottert er. “Natürlich nicht.”   

“Das einzige tolle Café, das ich bis jetzt kenne, ist in der City. Da ist ja schon die Bahn…” Zugegeben, besonders raffiniert war das jetzt nicht, aber ich setze jetzt ganz auf das Überraschungsmoment und bewege mich langsam in Bewegung Richtung Gleis.  

Wie erwartet schließt er zu mir auf. “Ich bin übrigens Tim. Freut mich, dich kennenzulernen.” Das sah vorhin aber ganz anders aus.  

Langsam schieben wir uns mit der Masse in Richtung Gleis, denn jetzt dauert es nur noch Sekunden, bis die Bahn einfährt. Ich versuche dabei, vor die Menschenmasse zu kommen, was mir ganz gut gelingt, weil ich mich gut durchschmuggeln kann. Er folgt mir. Ich liebe es, wenn Pläne aufgehen! Die Vorfreude auf das, was gleich geschieht, nimmt mir den Atem. Am liebsten würde ich die Arme hochreißen und jubeln, aber ich kann mich so gerade eben noch zurückhalten. Es würde auch ziemlich seltsam aussehen für die Außenwelt.  

Endlich höre ich ganz leise und von weit weg das Geräusch der einfahrenden U-Bahn. Nach und nach bemerke ich bei den gottverdammten Kreaturen um mich herum, dass sie das Geräusch ebenfalls hören. Im Tunnel ist ganz schwach die Beleuchtung der Bahn auszumachen und ich höre die Bremsen des Fahrzeugs kreischen, als mich ein Stoß von hinten trifft und ich kopfüber ins Gleisbett falle. Bevor der Fahrer oder ich reagieren können, verspüre ich einen fürchterlichen Schmerz und dann sehe ich nur noch Schwärze….  

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