Kreatives Schreiben
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Märchen & Fabeln

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Fernlehrer das gemeint hat, als er mir sagte, ich soll ein Märchen schreiben, in dem Gegenstände, Pflanzen und/oder Tiere als Figuren agieren. Aber mir gefällt die Geschichte irgendwie, also lehn dich zurück und fang an zu lesen. Manches ist wahr, manches nicht. 😉


Im Gegensatz zu diesen zweibeinigen Wesen, die ab und an sein Inneres bevölkerten, wusste Louis, dass er eine Seele hatte und dass er durchaus auch Bedürfnisse hatte. Er fand sich hübsch, obwohl er ein ausladendes Hinterteil hatte, das durchaus ein paar Rundungen weniger hätte vertragen können. Gut, sein weiblicher Mensch, der er sehr zugetan war, war ihm in dieser Sache ähnlich, also ärgerte er sich nicht weiter drüber. Er hatte es sowieso nicht in der Hand. Die vielen Menschen, die ihn Stück für Stück zusammensetzten, waren diejenigen, die zu verantworten hatten, wie er designed wurde. Nicht er. Er war froh, dass er seine vier Reifen hatte, die ihn und die ihm anvertraute Frau bisher immer gesund und munter von A nach B gebracht hatten und dass er diese Frau wärmen konnte, denn er besaß selbstverständlich nicht nur eine Heizung, sondern auch eine Sitzheizung, in der sein Mensch sich im Winter behaglich räkelte.  

Sie sagte allen, die es nicht hören wollten, dass sie ihn liebte, für sein Aussehen, seine Art sie von Ort zu Ort zu fahren und vor allem für den silbernen Löwen, den sein Lenkrad und diverse andere Stellen seines Körpers zierten. Lange hatte sie überlegt, welcher Name der richtige für ihn wäre, denn diese typischen französischen Namen wie Francois oder René waren gar nicht ihr Ding. Unglückseligerweise hatte der unsympathische Autoverkäufer ihr, mit den besten Absichten natürlich, das entsprechende Kennzeichen verpasst, so dass alle Welt ihn René nannte. Nicht wie das französische Rööönee, sondern das eingedeutschte Reenee. Hätte er Ohren, hätte er sie sich zugehalten, aber das ging ja nun mal nicht.  

Heute ging es aber darum, dass die Menschenfrau ihn baden sollte. Leider war sie in dieser Hinsicht nicht sehr zuverlässig, obwohl er es sehr genoss, in dem Wasserstrahl der Waschanlage richtig durchgebürstet zu werden und ihr dies auch sehr offenkundig zeigte. Ob man es glaubt oder nicht, auch er hatte juckende Stellen am Blechkörper, an die er naturgemäß nicht herankam. Und so richtig darauf aufmerksam machen konnte er auch nicht. Ab und an schüttelte er sich mal, wenn er an der Ampel stand, aber die Frau bemerkte dann immer nur, dass ihm wohl kalt sein müsste. Gut, manchmal stimmte das, vor allem im Winter, aber er hatte noch keinen Weg gefunden, ihr mitzuteilen, dass er nun wirklich mal wieder baden müsste. Warnlampen wollte er lieber nicht nutzen, weil sie immer sofort in Panik geriet, wenn irgendwas, bis auf die Tankleuchte, leuchtete. Was also tun? 

Louis überlegte. Er stand nun seit einigen Tagen ungenutzt vor der Tür und litt schrecklich darunter. Er konnte sich nicht vorstellen, was passiert war, dass sie ihn nicht mehr nutzen wollte. War er unfreundlich gewesen oder hatte er versehentlich etwas getan, was sie erzürnt hatte? Er stand dort, sah den lieben langen Tag auf die Haustür und hoffte, dass sie nun endlich, mit den Schlüssen klimpernd, freudig auf sie zugelaufen käme. Normalerweise begrüßte sie ihn immer mit den Worten: “Hallo mein Schöner! Dann lass uns mal losfahren!” Aber diese Woche? Pustekuchen. Er stand und stand und seine Laune wurde immer muffeliger. Das Wetter trug noch sein Übriges dazu bei, dass er mittlerweile am liebsten allein um den Block fahren würde, um sich endlich wieder zu spüren. Allerdings war dies nicht möglich, weil die Menschen um ihn rum wahrscheinlich in Ohnmacht fallen würden vor Schreck, wenn ein herrenloses Auto einfach so herumfahren würde. Aber Moment, vielleicht könnte er den Kameraden hinter sich anstiften genau das endlich mal offen zu zeigen. Wer sagte denn, dass ein Personenkraftwagen, wie es so schön in Deutschland hieß, nicht zeigen durfte, was es konnte?  

“He!” Louis´ Bremslicht blinkte kurz auf, um dem Touran hinter ihm klarzumachen, dass er mit ihm sprach. Soweit er wusste, wohnte der Besitzer im gleichen Haus wie seine Menschenfrau.  

“Was willst du? Lass mich in Ruhe, Franzose!” Abfällig hörte sich das an. Ja, er war jünger als der Schnösel hinter ihm und war sicher auch nicht so teuer gewesen, aber hübscher war er auf jeden Fall. Zumindest, wenn er seiner Menschenfrau glauben konnte.  

“Lust auf eine Spazierfahrt?” Hätte Louis die Sesamstraße genannt, hätte er lachen müssen, es klang fast wie “Pssst… Willst du ein A kaufen?” von diesem Heimlichtuer Schlemihl, der seinen Mantel aufriss und auf keinen Fall wollte, dass jemand mitbekam, was er da an Ernie verkaufte.  

“Spinnst wohl, was?” Ok, das war eindeutig.  

“Ach man, isch ´abe einfach Langweile und isch will misch mal wieder bewegen. Bitte! Wir müssen den Menschen einfach zeigen, dass wir nischt totes Material sind und dass uns mit der Liebe unserer Fahrer zu uns auch eine Seele eingehaucht wurde. Außerdem muss isch dringend mal wieder baden.” Die ersten Menschen, die an ihm vorbei gingen, schienen etwas zu bemerken, denn sie guckten etwas irritiert.   

“Entschuldigung?” Eine Frau blieb direkt neben Louis stehen. “Soll ich für Sie mal ihren Menschen ansprechen? Sie sind ziemlich dreckig. Es wird mal Zeit, dass Sie ein Schaumbad bekommen. Nichts für ungut, sollte keine Beleidigung sein.”  

Louis erstarrte. Warum wurde er hier einfach so auf offener Straße angesprochen und dann noch von einem Menschen? Wie konnte das sein? 

Er räusperte sich. “Ja…. das…. das wäre nett. Warum ´ören Sie mich denn eigentlich?” Hätte er Augenlider gehabt, hätte er sie gesenkt, weil er ein wenig Angst davor hatte, dass er ausgelacht wurde.  

“Guter Mann!” Sie hatte “guter Mann” gesagt! Ein Schwarm Schmetterlinge flog in seinem Innenraum herum. “Ich widme mich seit Jahren der Automobilforschung. Es ist bewiesen, dass Autos, die von ihren Besitzern sehr geliebt werden, eine Seele entwickeln und aus sich heraus mit ihnen sprechen können. Die meisten Menschen und auch Automobile wissen das allerdings nicht.” 

Tatsächlich? “Tatsächlich?” Mehr wusste er erst mal nicht zu sagen.  

“Ja, man muss nur genau hinhören, dann kann man auch hören, wie die Autos miteinander sprechen. Vielen Menschen ist die Fähigkeit abhandengekommen, was ich sehr schade finde. Aber für Sie ist noch nicht alles verloren. Wenn Sie mir kurz sagen, könnten, wo ihr Mensch wohnt, werde ich mal mit ihr sprechen.” 

“Ah, da kommt sie gerade aus der Tür und …. sie kommt auf misch zu!” Nun freute er sich sehr, sie zu sehen. Sie hatte ihn doch nicht vergessen.  

“Entschuldigung, was machen Sie da an meinem Auto?” Empört stemmte seine Menschenfrau die Hände in die Hüften.  

“Was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, wird sie wahrscheinlich überraschen, aber hören Sie mir bitte bis zum Ende zu.” Die Frau erhob die Hände, weil sie hoffte, so nicht unterbrochen zu werden. “Ihr Auto möchte mit ihnen reden. Bevor Sie mich auslachen oder schreiend wegrennen, versuchen Sie einfach mal hinzuhören, was er Ihnen zu sagen hat.” 

“`Allo, Verehrteste. Isch bin ein wenig sprachlos gerade, aber ich ´offe, du kannst misch auch ´ören. Isch brauche etwas Bewegung und eine Wäsche. Danach kannst du misch wieder ´ier abstellen.” Vor Aufregung hielt Louis die Luft an.  

Die Augen seiner Menschenfrau weiteten sich und dann jubelte sie: “Louis, ich habe mir so sehr gewünscht, dass du endlich zum Leben erweckt wirst. Natürlich erfülle ich dir deine Wünsche.” 

Sie verbrachten die nächsten 20 Jahre in Freundschaft miteinander, bis Louis glücklich und zufrieden aus ihrem Leben schied.  

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