Seitenwind by Papyrus Autor
Seitenwind by Papyrus Autor

Gäste im Geisterhaus

Ich hatte gar nicht mehr auf dem Schirm, dass im Oktober die Seitenwind-Aktion von Papyrus wieder startet. Das Thema hat mir diesmal gut gefallen.

Aufgabe:

Deine Perspektive: Du bist das verlassene Anwesen am Ende des Rabenwegs. Das Gewicht von zwei Jahrhunderten tragischer Geschichten lastet auf deinen Ziegeln und Dielen. Wind raschelt durch die Bäume, und dich überkommt ein so wohliger Schauer, dass die Fensterläden klappern: Zeit, gruselig zu werden. 

Deine Aufgabe: Mit Einbruch der Nacht bestimmen deine Worte ihr Schicksal: Eine Gruppe Abenteurer betritt das Anwesen, angezogen von Gerüchten und alten Erzählungen. Als das Haus selbst entscheidest du: Bestrafst du ihre Neugierde mit dunklen Spielchen? Oder spürst du ihre Absichten und enthüllst ihnen Geheimnisse, die deinen rastlosen Geistern Frieden bringen könnten? Die Nacht birgt Entscheidungen: Unheil oder Gnade, Finsternis oder Hoffnung. Welches Kapitel fügst du heute deiner Geschichte hinzu? 


Die Dunkelheit legt sich wie eine warme Decke um mich und der Wind umschmeichelt mich wie eine liebeshungrige Katze. Noch ist er ein leichtes Lüftchen, aber ich spüre, wie er immer mehr Schwung holt, um im Laufe der Nacht stärker zu werden. Spukhaus werde ich genannt, aber das trifft es nicht wirklich, denn um mich herum befindet sich auch noch ein großes Stück Land, auf dem es ebenfalls spukt. Mit den Jahren bin ich immer mehr verfallen und die Natur hat sich einen großen Teil meines Seins einverleibt. Dicke Staubschichten bedecken meine mittlerweile verfallene Einrichtung und wo es möglich ist, und das ist an vielen Stellen, sprießen immer mehr Bäume, Gestrüpp und Unkraut aus dem Boden oder anderen Lücken, die sich im Laufe der Jahre in meinem Gemäuer aufgetan haben. Mittlerweile mag ich dieses Gefühl, es wärmt mich von innen, der Wind wird von den lebenden Pflanzen gestoppt und füllt mich nicht mehr komplett mit seiner Kälte aus. Meistens ist mir langweilig, denn ich stehe ja den lieben langen Tag und die ganze Nacht hier herum und habe keinerlei Abwechslung. Die Geister der vergangenen Bewohner erzählen seit Jahrzehnten das Gleiche, so dass ich meine Ohren vor ihrem Gejammer und Geheule verschließe und in regelmäßigen Abständen zustimmend oder besänftigend brumme. Wenn ich es vor Langeweile nicht mehr aushalten kann, bewege ich beispielsweise mal eine Stufe und rufe damit dieses unheimliche Knarren hervor, das den meisten Menschen so viel Angst macht. Mein Dachgebälk knarren lassen kommt auch immer besonders gut an. Die Geister, die sich mit mir das Anwesen teilen, sind ausnahmslos meine ehemaligen Bewohner. Sie gehörten zu einer Familie, deren Existenz sich über Jahrhunderte zurückverfolgen lässt. Keiner von ihnen hatte ein schönes oder sorgloses Leben, eher eins, dass sie dazu veranlasst hat, sich entweder selbst zu richten oder sie wurden ermordet, beides natürlich immer hier auf dem Grundstück am Rabenweg. Einige von ihnen sind noch heute irgendwo hier verscharrt und wurden nie gefunden. Deren Heulen und Jammern hört man bis weit übers Grundstück hinaus, daher meiden die Lebenden dieses Umfeld, zumindest sobald es dunkel wird. Ich habe keine Aussichten darauf jemals Frieden durch Abbruch oder Sanierung zu finden, denn es fühlt sich niemand für mich zuständig. Ich werde sogar als gruseligster Ort Deutschlands geführt und ziehe, natürlich nur tagsüber, viele Touristen an, die sich das Spuckhaus ansehen möchten. Diejenigen der Menschen, die ein Faible für Häuser haben, meinen, dass ich freundlich aussehe, was wahrscheinlich daran liegt, dass meine Fenster und die Türen so angelegt wurden, dass sie wie ein freundliches Gesicht wirken. Das war meinen Erbauern sehr wichtig, denn hier sollte sich die Tochter des Grafen von Metzmeister nach ihrer Eheschließung wohl und geborgen fühlen. Wir wissen alle, dass diese Ehe letztendlich der Grundstein meiner gruseligen Geschichte wurde. Falls du nicht von hier kommst und dich diese Geschichte interessiert, findest du in meinem Keller einen Schrank, in dem alle Tagebücher der Bewohner aufbewahrt werden. Geh ruhig hinunter, wenn du dich traust.  

Was ist das? Durch das Wispern der Bäume kann ich noch andere Geräusche hören. Das Rascheln von Blättern, nervöses Kichern und leises Flüstern. Sehen kann ich aber noch nichts. Ich lausche in die Nacht, aber es ist nicht so einfach inmitten des mittlerweile angewachsenen Getöses des Windes noch andere Geräusche auszumachen. Da, ein kleines Licht hüpft zwischen den Bäumen hindurch und noch eins. Als die Lichter und die Geräusche näherkommen, sehe ich vier Gestalten, dunkel angezogen, die sich mir vorsichtig nähern. Zwei Frauen sehen mich mit großen Augen an und ich bemerke, dass sie schwer atmen, als würden sie eher die Luft anhalten als sie durch ihre Lungen strömen zu lassen. Im fahlen Licht des Mondes sehen sie beide ziemlich blass aus. Die beiden Männer, die sie begleiten, schreiten mit forschen Schritten voran und in ihren Augen sehe ich Vorfreude auf das, was sie hier erleben werden. Nun, dann werde ich mal sehen, wie viel sie aushalten.  

Wenn ich könnte, würde ich meine Finger knacksen lassen, so wie es die Übeltäter in schlechten Krimis tun. Bei mir muss es anders gehen. Langsam bewege ich einen Teil meines Daches, so dass der Balken, der schon seit Jahren locker ist und die ganze Zeit auf seinen filmähnlichen Einsatz wartet hat, mit großem Getöse im Dunkel verschwindet. Die vier Gestalten springen mit einem Satz von mir weg und den beiden Frauen entfleucht ein atemloser Schrei. Früher habe ich solche Momente sehr genossen, aber ich spüre, dass hier etwas anderes als Sensationslust der Grund für ihren Besuch ist. Ich bemerke, wie sich hinter mir die Geister der Verstorbenen bereit machen. Sie haben lange darauf gewartet, dass sich nachts jemand hierher verirrt. Sie geben ihre seltsamen murmelnden und anklagenden Laute von sich und sogar mir wird dabei immer etwas anders. Ich weiß, dass ich ihnen vertrauen kann, aber trotz allem schüttelt mich ein Zittern, das einem leichten Erdbeben gleicht. Das bringt die Menschen vor mir dazu, noch ein Stück zurückzuweichen. Nun sind alle sehr blass und schnaufen verdächtig. Eigentlich habe ich gern Gesellschaft, aber ich verstehe nur zu gut, dass sie sich unter den Umständen nicht trauen, mir näherzukommen.   

“Johanna von Metzmeister!” Die Stimme einer der Männer schallt zitternd über das Anwesen. “Bist du hier?” Der weibliche Geist hinter mir erstarrt und hört jäh mit dem Jammern und Brummen auf. Sie legt ihren Kopf schief und lugt hinter mir hervor, um zu sehen, wer ihren Namen kennen könnte. Eine piepsige Stimme, bei der man direkt spürt, dass sie nicht nur Angst, sondern regelrecht Panik hat, meldet sich zu Wort: “Ich bin deine Nachfahrin! Ich möchte deinen Tod aufklären. Man sagte mir, dass man dich am besten hier bei Nacht treffen kann. Also bin ich mit meinen Freunden hergekommen, um mit dir zu reden.” Wut umspült mich, wie ich sie in all den Jahren niemals gespürt habe. Ich spüre, dass diese Wut nicht diese Frau treffen soll, aber bei Johanna hat sich seit ihrem gewaltsamen Tod so viel Hass angestaut, dass sie ihn gar nicht mehr richtig kanalisieren kann. Die Druckwelle des Hasses lässt mich erneut beben, so dass ich nicht verhindern kann, dass an allen Ecken und Enden etwas knackt, knirscht oder gar von seinem angestammten Platz fällt. Ich bin ratlos, wie ich hier vorgehen soll, denn die Frau scheint es gut zu meinen und Johanna schafft es nicht auf sie zuzugehen. Doch dann kommt mir eine Idee: Ich öffne meine Eingangstür und weise den Wind an, den Besuchern den Weg in den Keller zu zeigen. Vor Jahren habe ich schon ein Abkommen mit dem Wind getroffen, weil auch er sich fürchterlich langweilte. So waren wir beide in der Lage uns ein wenig mit den Ängsten der Besucher zu vergnügen. Doch heute möchte ich das nicht. Ich möchte Frieden für Johanna. Sie hat ihn als meine erste Bewohnerin, die alles an mir sehr geliebt hat, verdient.  

Ich sehe, wie die vier Gestalten vor mir sich fragend ansehen. Sie wissen, dass es kein Zufall sein kann, dass meine Eingangstür sich geöffnet hat. Der mutigere der beiden Männer strafft den Rücken, hebt den Kopf und zieht die Nase hoch. “Leute, ich glaube, das Haus möchte uns etwas zeigen!” Zögerlich folgen die anderem ihm hinab in den Keller zu den bisher geheim gehaltenen Tagebüchern meiner ehemaligen Bewohner. Nun bin ich sicher, dass sie alle nach und nach ihren Frieden finden und ich mein Dasein als Gruselhaus endlich ablegen kann, denn ich war immer ein friedliebendes Haus und habe es mir immer gewünscht, dass lachende Kinderstimmen und freundliche Menschen mein Innerstes erfüllen.  

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